„Hören Sie, Sie sind doch Schriftsteller, nicht wahr. Schreiben Sie doch für unser Blatt eine Weihnachtsgeschichte!“
Der Chefredakteur ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er mit einer Zusage rechnete.
„Unsere Linie ist, wie Sie sicher wissen, weltoffen, modern und tolerant aber heimatlichen Traditionen und christlichen Werten verpflichtet. In diesem Spektrum siedeln Sie Ihre Geschichte an! Im Übrigen lasse ich Ihnen freie Hand. Legen Sie mir Ihr Manuskript in vierzehn Tagen vor! Das Honorar wird sicher Ihren Vorstellungen entsprechen. Man sieht sich, danke und auf Wiedersehen!“
Damit war der junge Autor entlassen, ehe er sich zu dem Auftrag, den er so überraschend erhalten hatte, äußern konnte.
Es war Frühherbst und weihnachtliche Stimmung wollte nicht so recht aufkommen. Dennoch machte sich der junge Autor daran ein Exposé zu entwerfen, einmal brauchte er das Geld dringend, andererseits widersetzte man sich dem Chefredakteur der größten Zeitung des Landes nicht so einfach.
Er machte sich also an die Arbeit und nach zwei Wochen meldete er sich mit seinem Entwurf in der Chefetage der Zeitungsredaktion. Der Chefredakteur wies ihm einen Platz an, ließ Kaffee bringen und bat den jungen Autor vorzulesen, was er geschrieben hatte.
Der räusperte sich und las:
Der Winter machte sich auf, ins Land einzufallen. Sein eisiger Atem rüttelte an den Häusern der Menschen und erinnerte sie, dass das Jahr in den letzten Zügen lag.
Hoch im Norden erwachte Santa Klaus in seinem Kristallpalast. Der Winter war seine Zeit. Weihnachten stand vor der Tür und nun gab es wieder viel zu tun. Die fleißigen Hände der Zwerge hatten den ganzen Sommer über gearbeitet, um die Wünsche der Menschenkinder zu erfüllen und nun standen im Lager die Geschenke hoch aufgeschichtet und warteten darauf, vom Weihnachtsmann verteilt zu werden.
Santa Klaus streckte sich erst einmal, um die steifen Glieder aufzulockern, dann trat er nach draußen und pfiff kurz und schrill. Nicht lange und sein treues Rentier Rudolf galoppierte herbei. Freudig rieb es seinen mächtigen Kopf an der Schulter seines Herrn.
„Braver Rudolf! Es gibt wieder Arbeit.“ …
„Stopp!“, der Chefredakteur unterbrach den Lesefluss, ungehalten wie es schien, „was ist das?“
„Meine Weihnachtsgeschichte, ich meine natürlich Ihre Weihnachtsgeschichte“. Der junge Autor fühlte sich nicht wohl unter dem strengen Blick des Chefredakteurs.
„Diese Schmonzette können Sie vergessen. Wir sind doch nicht …“, und hier nannte der Chefredakteur mit verächtlichem Unterton den Namen eines weniger erfolgreichen Konkurrenzblattes, „… die veröffentlichen einen derartigen Käse. Das ist langweilig und betulich.“
„Aber“, schüchtern meldete sich der junge Autor zu Wort, „Sie sprachen doch von Tradition und …..“
„Papperlapapp! Mit so einer Schreibe locken Sie doch keinen Youngster aus der Disco. Unsere Zielgruppe ist der junge urbane Typ, mit beiden Beinen fest auf dem Boden, aber kritisch, verstehen Sie? Kritisch und skeptisch. Sie legen mir da eine Kindergeschichte vor. Melden Sie sich in einer Woche wieder! Aber ich bitte mir mehr Pep aus! Wiedersehen!“
Tief getroffen zerknüllte der junge Autor sein Manuskript und warf es in den Papierkorb. Am liebsten hätte er den Auftrag zurückgewiesen, aber er brauchte das Geld. Zudem ärgerte ihn der Vorwurf, eine Schmonzette verfasst zu haben. Er hätte ein derartiges Machwerk ohnehin niemals freiwillig geschrieben.
Mehr und mehr war er überzeugt, einem Missverständnis aufgesessen zu sein. Der Chefredakteur wünschte eine Geschichte für junge, urbane Menschen, skeptisch aber realitätsbezogen – in ihrer Sprache, authentisch und cool. Gut, dem Manne konnte geholfen werden.
Nach einer Woche bat er telefonisch im Büro des Chefredakteurs um einen Termin. Man traf sich in einem Café. Selbstbewusst las der junge Autor aus seinem neuen Manuskript:
„Hi, Jungs, wie sieht´s aus? Alles fertig?“ Santa Claus, in neuer quietschroter Schale lehnt lässig in der Tür der Weihnachtswerkstatt. Echt steil, der alte Knabe. Rudolf, sein Rentier linst ihm über die Schulter. Total high das Vieh. Wohl wieder zuviel Wodka gesüffelt, rote Nase, Hängeohren, Augen auf Halbmast.
„OK Santa, altes Haus, ihr könnt den Kram übernehmen. Bin echt total stoned von dem Job“, der Boss der Zwergentruppe gähnt und klemmt sich eine Gauloise zwischen die Lippen.
„Geile Montur!“, grinst er anerkennend, „total abgefahren, machst wohl auf full impression bei den Mädels?“
„Keine Zeit für Aufriss, Alter, das Zeug muss unters Volk!“ …
Krach! Schwer fiel die Faust des Chefredakteurs auf den Tisch. Die Tassen schepperten, besorgt schaute die Kellnerin herüber. Sie kannte den Chefredakteur und fürchtete sein cholerisches Temperament.
„Sind Sie geistesgestört, Mann? Mir so einen Schwachsinn anzubieten!“ Seine Stimme bebte, auf der Stirn trat bedrohlich eine dicke, bläuliche Ader hervor.
„Aber wieso denn, Sie wollten doch eine Geschichte mit Pep und Schwung…“. Ein vernichtender Blick traf den jungen Autor, kleinlaut verstummte er und senkte den Kopf.
Nun tat er dem Chefredakteur, der eigentlich einen weichen Kern unter seiner rauen Schale verbarg, Leid.
„Vielleicht habe ich mich ja wirklich nicht klar genug ausgedrückt“, meinte er versöhnlicher. „Jung und cool ist zu…“, er zögerte, suchte nach dem treffenden Begriff.
„Zu oberflächlich?“, kam ihm der junge Autor zu Hilfe.
„Ja genau, zu oberflächlich. Wir wollen Menschen mit Profil ansprechen, wache Menschen mit einem politischen Bewusstsein und kritischer Distanz zu ödem Konsum, wenn Sie verstehen, was ich meine. Diese Leute kann man nicht mit einer simplen Weihnachtslegende oder Szenejargon zufriedenstellen. Die wollen intellektuell gefordert werden.“
Der junge Autor nickte. Aber ja doch, das war sein Ding. Nun fühlte er sich endlich herausgefordert und ernst genommen.
„Können Sie mir bis Ende der Woche vorlegen, was ich wünsche, kommen wir ins Geschäft. Den Kaffee übernehme ich. Habe die Ehre!“
Noch im Kaffeehaus machte sich der junge Autor an einen ersten Entwurf. Als er sich zu Hause an den Computer setzte, hatte er seine Geschichte fertig im Kopf.
Zwei Tage später las der Chefredakteur folgendes Mail:
„Das Sein bestimmt das Bewusstsein“. Wenn Marx Recht hatte – und zunehmend wurde es für Klaus zur Gewissheit – musste er schleunigst seine Profession wechseln um nicht zum Verräter an sich selbst zu werden.
Es ekelte ihn vor diesem Geschäft, ein Geschäft, das die Menschen zu Sklaven ihrer Konsumlust erniedrigte. Und er war ihr Handlanger, ein Dealer, der ihre Sucht befeuerte. MEHR und GRÖSSER war die Maxime dieser Sucht, eine verderbliche Lust, die den Charakter der Menschen zerstörte und Besitzgier und Oberflächlichkeit förderte.
Klaus beschloss auszusteigen. Er wollte abrechnen mit dem Geschmeiß der Händler und Kreditgeber, den Juwelieren und Pelzverkäufern, mit all den verbrecherischen und ausbeuterischen Hyänen des Luxusgeschäfts.
Zuerst besorgte er sich einen roten Mantel. Er wusste um die Macht der Symbole. Ein flammend rotes Zeichen wollte er sein, wie eine Wunde nach einem scharfen Schnitt.
Dann befreite er sein Rentier und erlöste es von seiner jahrelangen elenden Knechtschaft. Die rote Nase seines alten Rudolf verstand er als schicksalhafte Zustimmung.
Die Weihnachtswerkstatt wurde zu einem genossenschaftlich organisierten Betrieb umgeformt, der von der offensichtlich zu kurz gekommenen Belegschaft – jetzt Produktionskollektiv – gemeinschaftlich bewirtschaftet wurde.
In der ersten Betriebsversammlung wurde der Antrag gestellt, den Namen zu ändern. „Weihnachten“ war bürgerlich-klerikal besetzt und damit obsolet geworden. Der Antrag wurde einstimmig angenommen, die Werkstatt hieß nunmehr „Sondergüterproduktion für Werktätige“….
Mit wachsendem Zorn hatte der Chefradakteur gelesen, was ihm der junge Autor da geschickt hatte. Nun aber reichte es und er mailte folgende Antwort:
Sie unseliger Schreiberling! Entweder ich erhalte morgen von Ihnen einen brauchbaren Text oder Sie sind gefeuert. Sind sie wirklich nicht imstande eine zeitgemäße, spritzige und anregende Geschichte mit Witz und Intelligenz zu verfassen, die die Leute elektrisiert?
Der junge Autor las die Antwort und war am Boden zerstört. Konnte man diesem Schinder eigentlich überhaupt etwas recht machen? Er hatte große Lust, alles hinzuschmeißen. Doch dann stach ihn der Hafer. Eine spritzige Geschichte wollte der alte Sack haben? Na gut, er würde ihm eine liefern, und wenn es die letzte sein sollte.
Die Finger flogen über die Tasten und noch am gleichen Abend hielt sein Auftraggeber eine Geschichte in Händen, die ihm der junge Autor in die Redaktion gefaxt hatte:
„Was die Leute sich so alles wünschen!“, brummte der Weihnachtsmann unwirsch, während er in den zahlreichen Wunschbriefen blätterte, die ihm im Lauf des Jahres zugegangen waren.
Eitel, selbstverliebt und dekadent waren die Menschen geworden, an ihren Wünschen war diese Entwicklung deutlich zu sehen. Der alte Weihnachtsmann nahm es mit Missvergnügen zur Kenntnis. Wo waren die Zeiten, als die Kinder noch mit einem Christbaum, einer Puppe oder einem Buch zufrieden waren und die Großen sich schon an einem warmen Zimmer und einem guten Weihnachtsbraten erfreuten!
Zum Beispiel dieser Heinrich da – der Weihnachtsmann nahm einen der Briefe genauer in Augenschein. Der wünschte sich eine Puppe, aufblasbar und lebensgroß. Wozu brauchte der Kerl eine Puppe?
Beim Weiterlesen schoss ihm die Röte ins Gesicht, ob aus Scham oder Zorn sei dahingestellt. Die Puppe sollte alle Merkmale einer FRAU haben – „alle“ unterstrichen und fett gedruckt.
Empört zerknüllte er den Brief und warf ihn in den Ofen.
Der nächste war von einer gewissen Bettina, Hausfrau. Sie wünschte sich sehnlichst ein elektrisches Ding mit einem Namen, den er noch nie gehört hatte: VIBRATOR. Vorsorglich hatte sie ein Bild dazu geklebt und als Begründung angegeben, sie sei leider oft allein!!
In den Ofen damit! Hatten denn die Leute kein Schamgefühl!
Und dieser Brief da – der Weihnachtsmann hatte ihn mit spitzen Fingern aus dem Packen herausgezogen – enthielt eine ganze Liste an Wunsch-DVDs, deren Titel einen Wutanfall auslösten: „Geile Weihnachten“, „Engel – jung und willig“, „Lust unter dem Christbaum“ usw. Der Brief stammte von einem Bengel namens Norbert, der wohl der Schule noch nicht entwachsen war, wie die ungelenke Kinderschrift nahelegte.
Norberts Wünsche landeten ebenfalls im Feuer.
Der Weihnachtmann blätterte und blätterte und seine Enttäuschung und sein Ärger wuchsen mit jeder neuen Entgleisung. Der Ofen hatte an diesem Abend reichlich zu tun.
Erstmals dachte der alte Weihnachtsmann daran in Pension zu gehen.
Die Geschichte hatte etwas, der Chefredakteur war nachdenklich geworden, aber dann schien ihm der Text doch zu gewagt.
Rasch entschlossen griff er zum Telefon und rief den jungen Autor an: „Wir, äh, nehmen Ihren ersten Text. Das Honorar geht demnächst auf ihr Konto. Fröhliche Weihnachten!“
Dann erteilte er den Auftrag zum Drucken.
Text & Illustration: Udo Fellner
Foto: Sabina Sturzu